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Band 11

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Pekar, Thomas
Ernst Jünger und der Orient
Mythos – Lektüre – Reise

1999. 263 Seiten – 155 x 225 mm. Broschur
ISBN 978-3-933563-40-8

 

44,00 EUR

Produkt-ID: 978-3-933563-40-8  

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Vor dem Hintergrund einer kritischen Diskussion neuerer Orientalismus- und Kultur-Theorien (u.a. Greenblatt, Said) unternimmt das Buch den Versuch, die komplexen Zusammenhänge, in denen der Orient-Diskurs im Gesamtwerk Ernst Jüngers steht und die bislang noch nie bearbeitet worden sind, zu bestimmen. Im Zusammenhang mit der um die Jahrhundertwende verbreiteten zunehmenden Problematisierung der Rationalisierung der Welt, läßt sich bei Jünger eine Suche nach Gegenräumen zu der 'entzauberten' Welt beobachten. Der Ausbruch des I. Weltkriegs verband sich bei Jünger - wie auch bei vielen anderen seiner Generation - mit der Hoffnung auf eine solche Gegenwelt zu der als sinnlos erfahrenen bürgerlichen Gesellschaft. Diese Hoffnung wurde dann aber insbesondere durch die von der Technik beherrschten Materialschlachten zerstört. Seit diesen Kriegs-Erfahrungen fungiert ein imaginärer Orient bei Jünger als Gegenraum zur kriegerisch-technisch-nihilistischen Moderne.
Dieser Orient gestaltet sich bei Jünger in erster Linie durch Lektüren, wobei die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht (Alf Laila wa-Laila) von fundamentaler Bedeutung sind. Spuren einer lebenslangen Lektüre dieses Buches werden in der vorliegenden Arbeit zusammengetragen. Es sind aber nicht nur Zitate, Anspielungen, Figuren, Bilder etc., die Jünger diesen Geschichten entnimmt, sondern es ist vor allem eine strukturelle Bestimmung, die sich mit der bei Jünger so entscheidenden Problematik des 'stereoskopischen Blickes' verkoppelt: Nach dem Modell von Tausendundeiner Nacht rücken 'magische' und 'wirkliche' Welt einander nahe, wird Wahrnehmung zu einem simultanen Geschehen, welches mehrere Dimensionen umfaßt, die Jünger mit wechselnden Begriffen, wie z.B. 'Oberfläche' und 'Tiefe' oder 'Banalität' und 'Schrecken', belegt. Fragen dieser Art bestimmen Jüngers ästhetische Diskussionen mit befreundeten Künstlern wie Rudolf Schlichter (1890-1955) und Alfred Kubin (1877-1959), die beide, Schlichter in seinen Bildern, Kubin vor allem in seinem Roman Die andere Seite (1909), vielfach den Orient thematisieren.
Jüngers Orient-Vorstellungen werden aber nicht nur durch Tausendundeine Nacht gespeist, sondern stehen in einem komplexen intertextuellen Bezugsfeld von Jugend-, Abenteuer- und Reiselektüren. Dieser Diskurs in seiner ganzen ideologischen Problematik von Rassismus, Kolonialismus und Eurozentrismus wird vom Autor in seinem Buch detailliert entfaltet und in seiner wahrnehmungsstrukturierenden Konsequenz bestimmt: Jüngers konkrete Reisen in den Orient werden - auch vor dem Hintergrund neuerer Forschungen zur Reiseliteratur - als 'Lektüre-Reisen', als 'Reisen im Diskurs' angesehen, d.h. bestimmte durch die Lektüre entworfene Wahrnehmungsmuster 'bestätigen' sich dann durch die Reise selbst.
Im zweiten Teil seines Buches stellt der Verfasser verschiedene Etappen von Jüngers Orient-Verständnis in werkgeschichtlicher Abfolge vor. Hauptergebnis dabei ist, daß Jüngers Orient-Diskurs keineswegs einheitlich ist, sondern ganz unterschiedliche, z.T. sich widersprechende Positionen formuliert. Modellhaft der Autor vier Orient-Diskurse Jüngers: Jüngers Erzählung Afrikanische Spiele (1936) wird als ein erster Orient-Diskurs begriffen, in dem vor allem die Zerstörung eines romantischen Orient-Verständnisses betrieben wird. In einer zweiten Diskursgruppe, bestehend vor allem aus den Kaukasischen Aufzeichnungen (1949) und dem Gordischen Knoten (1953), erscheint der Orient in krasser Polarität zum Okzident: In z.T. klischeehaften Bildern beschwört Jünger zwar westliche Ur-Ängste vor östlicher Gewalt und Despotie, doch insbesondere sein Verständnis des II. Weltkriegs als 'Weltbürgerkrieg' läßt Orient und Okzident historisch neuartig aneinandergeraten. Somit kündigt sich in dieser krassen Polarität eine Neufassung des Verhältnisses von Orient und Okzident an: Beides wird internalisiert, wird - in gewisser Weise damit an J. J. Bachofen (1815-1887) anknüpfend - ins Individuum selbst verlegt, wodurch zum dritten Orient-Diskurs übergegangen werden kann, der aus Jüngers Lang-Essay Annäherungen. Drogen und Rausch (1970) besteht, in dem der Orient eine Etappe in der individuellen Rausch-Biographie markiert. Hieran schließt sich ein vierter und letzter Orient-Diskurs Jüngers an, der sich vor allem mit seinen Tagebuch- und Reiseaufzeichungen Siebzig verweht (ab 1981) verbindet: Einerseits bestätigen die von Jünger im hohen Alter unternommenen Fernreisen ihn immer wieder in seiner Wahrnehmung einer fortschreitenden Verwüstung der Welt durch Technisierung, andererseits entwickelt Jünger besonders in Asien großes Interesse an der Entwicklung von kulturübergreifenden Sprach- oder Bildzeichen: Jünger verknüpft mit seiner Hoffnung auf die Möglichkeit des Übergangs in ein nicht banalisiertes, sondern differenziertes Welt-Zeitalter die Entwicklung von sozusagen 'planetarischen' Zeichen, die er als Fusion von westlichen und östlichen Zeichentypen begreift. Vorbild ist ihm dafür ein chinesisches Bildzeichen, dem die alphabetische Umschrift beigefügt wurde. Somit versteht Jünger in einer letzten Wendung den Orient als 'Reich der Zeichen' (Roland Barthes) und d.h. als Kulturraum par excellence.
Diese wechselnden Einstellungen zum Orient, die Jünger in seinem umfangreichen, sich fast über das gesamte 20. Jahrhundert hinstreckenden Werk formuliert, werden vom Autor als Abarbeitungsprozeß, letztlich als Überwindung des eigenen 'Orientalismus' begriffen.